[...]Das Zweite wäre das Missverständis von Zen als einer Wellness-Veranstaltung, einer Art Do-It-Yourself-Psychotherapie. Das ist nun wieder ein sehr "westliches" Missverständnis. Zen zielt als buddhistischer Weg nicht auf eine stressfreie, ausgeglichene Persönlichkeit (die mit ihren Aggressionen 'umgehen' kann) ab, sondern auf die Vernichtung der Illusion von Person / Persönlichkeit [...] <
Du fragst: 'ist nicht jede art von spiritueller praxis eine psychotherapie?". Nun, zumindest für ernsthafte buddhistische Praxis möchte ich dies verneinen. Wenn man 'Psychotherapie' als 'heilende Behandlung der Seele' übersetzt, dann ist man auch gleich am Kern der Sache. Es sind zwei Paar Stiefel, ob man die 'Seele' (oder, wem dieser Begriff zu 'belastet' ist, die Psyche), im Sinne einer Lebensertüchtigung, eines besseren Funktionierens optimiert, oder ob man den illusionären Charakter von Auffassungen wie 'Seele', 'Ich', 'Person' erkennt und als Ursache jeglichen (nicht nur persönlichen) Leidens beseitigt. Der 'Erwachte' ist im klassischen Sinne krank - er leidet unter Egoverlust. Nur andeutungsweise: solange keine 'Reintegration' (die diese 'Krankheit' sozial unauffällig macht)stattgefunden hat, spricht man tatsächlich von der sog. Zen-Krankheit.
Nur nebenbei möchte ich hier auf die Problematik spiritueller Praxis bei ernsthaften psychischen Krankheiten hinweisen. Es besteht dabei die Gefahr, die 'Abnormität' des Erkrankten in unerwünschter Weise zu vergrößern.
Um ein bekanntes (allerdings ursprünglich auf die Psychoanalyse gemünztes) Bonmot zu zitieren: 'Psychotherapie ist die Krankheit, deren Behandlung zu sein sie vorgibt.'
Gruß,
Ralf
P.S. Zazen betreibe ich nicht, um erleuchtet zu werden. Es ist nur so eine dumme Angewohnheit von mir... ;-)
danke fuer die aufschlussreiche antwort. vor allem der verweis auf die zen-krankheit ist sehr interessant. trotzdem moechte ich nochmal nachhaken. das ziel der psychotherapie ist es, den leidensdruck zu vermindern, den ein mensch empfindet. der weg, den sie waehlt, ist das funktionieren der psyche zu optimieren. zen hat das gleiche ziel (?), nur waehlt einen anderen ansatz, weil von anderen annahmen ausgegangen wird, naemlich dass das konzept der seele nur eine illusion ist, die beseitigt werden kann.
oder sehe ich das zu beschraenkt? worauf ich hinaus will, ist folgendes: was ist die motivation, sich fuer den zen-weg zu entscheiden, wenn man sich dadurch nicht die erloesung vom leiden verspricht? ansonsten liesse es sich doch auch mit der illusion leben.
ciao,
stephan
Ralfs Antwort mit der 'dummen Angewohnheit' hat was für sich, die ist wirklich schwer loszuwerden :) Aber vielleicht eine kleine Erklärung dazu: ich habe immer gesagt, Erleuchtung ist sowas wie eine Mohrrübe, die man an einen Stecken bindet und einem Esel vor dem Maul baumeln lässt, damit er weitergeht. Irgendwann kommt auch der größte Esel drauf, dass das Gehen an sich was bringt, und dann kann er die Mohrrübe vergessen. Die anfängliche Motivation ist nicht einheitlich, die Wege wohl auch nicht, aber die Erfahrungen konvergieren doch schön langsam...
Das mit der Zen-Krankheit und dem Egoverlust scheint mir nicht ganz so eindeutig. Zum Egoverlust gibt's ein Buch - habe es erst heute gekauft, kann also nicht viel sagen darüber - Suzanne Segal: Kollision mit der Unendlichkeit, rororo 60734 - aber als Zen-Krankheit ist mir eigentlich was anderes geläufig - das was Chögyam Trungpa 'spirituellen Materialismus' nannte, die Haltung "Ich will die Erleuchtung erlangen (oder hab' sie schon längst in der Tasche), Ich (bzw. mein Meister, mein Sekten- oder Religiongründer) bin besser, erleuchteter, fortgeschrittener als du (bzw...), so ichlos wie ich ist keiner..."
gassHo ()
Wolfgang
Wolfgang hat das Wichtigste, was die Motivation zum Beschreiten des Weges angeht, schon dargestellt (danke für das 'sprechende' Bild mit der Mohrrübe und dem Esel). Die Gründe, den Weg zu beschreiten, scheinen zunächst sehr unterschiedlich, auch wenn sie wohl letzten Endes alle auf eine Art Leidensminderung hinauslaufen. Der Drang nach Erkenntnis, die klassische 'Sinnsuche' etwa, kann auch als Wunsch gedeutet werden, das Leid des In-die-Welt-Geworfenseins, der Orientierungs- und Bestimmungslosigkeit zu beenden.
Welches Motiv auch immer das ursprüngliche gewesen sein mag, es verliert zunehmend an Bedeutung und verschwindet schließlich - in dem Maße, wie man lernt, dass kein Ziel existiert, das zu erreichen wäre. Auch der Weg ist nicht das Ziel (ich habe diesen albernen Spruch nie gemocht), der Weg ist einfach der Weg. Hier ist dann irgendwann wirklich keine Antwort mehr auf die Frage 'warum' zu finden, es ist keine Motivation mehr, die vorantreibt, sondern ein Automatismus,'dumme Angewohnheit'...
Das alles trifft's eigentlich nur halb, aber ich kann's nicht besser erklären. Es gibt keinen Grund (mehr), warum ich Zen praktiziere, genau so wenig, wie es einen Grund gibt, damit aufzuhören.
Was die Zen-Krankheit angeht, da gibt's wirklich sehr unterschiedliche Auffassungen bzw. sehr unterschiedliche Erscheinungsformen, die mit diesem Begriff bezeichnet werden. Ming Zhen Shakya etwa schildert sie als eine Art überschäumender Euphorie, Hakuin andererseits scheint ein oder zweimal fast daran gestorben zu sein - wobei es sich aber anscheinend um körperliche Begleitsymptome zu intensiver Übung handelte(?). Der von Wolfgang erwähnte 'spirituelle Materialismus' bzw. das 'Stinken nach Erleuchtung' ist wieder ein anderer Formenkreis.
Gruß,
Ralf
der grund, warum ich diese fragen gestellt habe, war die anfangs zitierte anmerkung von ralf. ich habe mich gefragt, ob ich nicht genau von diesem missverstaendis ausgehe und ob es ueberhaupt sinn fuer mich macht, mich mit zen zu beschaeftigen. wenn ich das allerdings ernsthaft betreibe und nicht nur als diy-psychotherapie sehe, dann scheint die urspruengliche motivation zweitrangig zu sein, da sie nach euren worten im lauf der zeit immer mehr in den hintergrund rueckt. eigentlich ein beruhigender gedanke.
ciao,
stephan.
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